Historisches Stichwort:
Deutsche Frauen dürfen studieren
Baden/Deutschland, 28.02.1900.
Frauen im Großherzogtum Baden erhalten am 28. Februar 1900 das volle
Immatrikulationsrecht. Bisher waren Frauen in deutschen Universitäten
ausschließlich als Gasthörerinnen zugelassen. Nach Baden öffnen in den
darauffolgenden Jahren auch die anderen deutschen Länder die Hochschulen
für weibliche Studenten.
Heute stellen Frauen knapp die Hälfte aller Studierenden in Deutschland.
Bei den Abiturienten sind sie sogar in der Mehrzahl. Vor etwas mehr als 100
Jahren war von höherer Frauenbildung noch kaum zu sprechen, das Studium an
deutschen Hochschulen eine reine Männerdomäne.
Frauen nur Gäste
Am Ende des 19. Jahrhunderts sind Frauen in deutschen Hörsälen seltene
Gäste. Und wenn sie dort sind, dann sind sie genau das: Gasthörerinnen. So
studieren 1896 in Preußen 223 Frauen ohne immatrikuliert zu sein. Die
meisten von ihnen wollen ihre Allgemeinbildung vertiefen und besuchen
Vorlesungen der Philosophischen Fakultät.
Nachdem sich erste Gymnasiastinnen zum Abitur angemeldet haben,
signalisiert das badische Kultusministerium seine Bereitschaft, Frauen
regulär zum Hochschulstudium zuzulassen. Bereits 1897 fordert
Kultusminister Wilhelm Nokk die Gleichberechtigung für deutsche
Abiturientinnen.
Doch die Hochschulen sperren sich dagegen. An der Freiburger Universität
fürchten die Professoren, immatrikulierte Studentinnen könnten dem
wissenschaftlichen Ansehen der Universität schaden.
Eine Männderdomäne bröckelt
Während des Wintersemesters 1899/1900 studieren fünf Frauen an der
Freiburger Universität als Gasthörerinnen Medizin. Eine von ihnen ist
Johanna Kappes. Sie gehört zu den ersten Abiturientinnen Deutschlands.
Als die Studentinnen vom Verein Frauenbildung-Frauenstudium ermuntert
werden, für ihre Einschreibung zu kämpfen, geht Kappes als einzige das
Wagnis ein. Die anderen befürchten, ihren Status als Gasthörerinnen an der
Freiburger Universität zu verlieren.
Kappes verfasst Anfang November 1899 eine Petition, die sie beim Freiburger
Senat einreicht. Nachdem dieser ablehnt, soll das zuständige Ministerium in
Karlsruhe entscheiden. Dieses entschließt endlich, das Frauenstudium
einzuführen.
Allerdings nur, wenn „seitens der Hochschulen nicht schwerwiegende Bedenken
gegen eine solche Zulassung von Frauen zum akademischen Bürgerrecht geltend
gemacht und begründet werden sollten“. Heidelberg stimmt zu.
Probeweise Immatrikulation
Die Freiburger Universität hingegen rät dringend von einem badischen
Alleingang ab. Die Aussicht auf eine staatenübergreifende Übereinkunft in
dieser Frage erscheint der badischen Regierung zum damaligen Zeitpunkt so
gering, dass sie auf die Freiburger Einwände nicht eingeht.
Am 28. Februar 1900 ist es soweit. Das Ministerium der Justiz, des Kultus
und des Unterrichts verkündet: „Frauen, welche ein anerkanntes Reifezeugnis
vorzulegen vermögen, sind versuchs- und probeweise zur Immatrikulation an
den beiden Landesuniversitäten (Heidelberg und Freiburg) zugelassen.“
Auch wenn Studentinnen an den badischen Universitäten vorerst nur
„versuchs- und probeweise“ immatrikuliert werden, wird die Öffnung der
Universitäten für Frauen in Zukunft nicht mehr zurückgenommen. Johanna
Kappes und die vier weiteren Freiburger Medizinstudentinnen werden in Folge
des Beschlusses rückwirkend für das Wintersemester eingeschrieben. Sie sind
die ersten regulären Studentinnen im Deutschen Kaiserreich. Alle fünf
werden später als Ärztinnen arbeiten.
Andere Staaten ziehen nach
Baden hat mit der Einführung des Frauenstudiums den Anfang gemacht. Es soll
nicht lange dauern, bis andere Staaten dem Beispiel folgen. 1903
entschließt sich Bayern, Abiturientinnen zur Immatrikulation zuzulassen.
Ein Jahr später folgt Württemberg.
Diese Entwicklung erhöht den Druck auf Preußen und Sachsen, zumal es deren
Landesregierungen nicht gefällt, dass Frauen aus ihren Ländern sich fortan
an Universitäten im Süden und Südwesten Deutschlands einschreiben. 1906
öffnet Sachsen seine Hochschulpforten für Frauen.
Das Frauenstudium bis heute
Der letzte große deutsche Staat, der das Frauenstudium einführt ist
Preußen. Dies führt zu einem sprunghaften Anstieg der Studentinnenzahlen.
Im Wintersemester 1908/09 immatrikulieren sich 1.132 Frauen an deutschen
Hochschulen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, sind es schon 4.054, was
einem Anteil von 6,7 Prozent an den Studenten insgesamt entspricht.
Während des Ersten Weltkriegs steigt die Anzahl der studierenden Frauen
weiter. Die meisten männlichen Studenten sind zwar offiziell
eingeschrieben, wegen ihres Kriegsdienstes jedoch nicht in den Hörsälen. Im
Winter 1917/18 fehlen etwa 80 Prozent von ihnen.
Die deutsche Studentin Margarethe Sallis-Freudenthal beschreibt ihre
Eindrücke von der Frankfurter Universität zu dieser Zeit: „(Es) war
beklemmend, es gab nur ein paar ganz junge oder ganz alte männliche Hörer,
der Rest waren Frauen. Und da die Frankfurter Universität eine ganz neue
Hochschule war, war es dort noch ein bisschen leerer als anderswo.“
Mütter brauchen kein Studium
In den 30er und 40er Jahren versuchen die Nationalsozialisten, die Frauen
von den Universitäten fernzuhalten. Die der Frau zugedachte Mutterrolle
erfordert kein Studium. So wird 1934 der Anteil von Abiturientinnen, die
ein Hochschulstudium beginnen dürfen, auf zehn Prozent begrenzt.
Akademikermangel führt schon ein Jahr später dazu, dass die Regelung
aufgehoben wird. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ersetzen Frauen
zunehmend Positionen von Männern. Das wirkt sich auch auf das
Geschlechterverhältnis an deutschen Universitäten aus. 1944 sind etwa die
Hälfte aller Studierenden Frauen.
Karriere ist noch immer Männersache
Nach dem Zweiten Weltkrieg sinkt der Anteil der Frauen an den Hochschulen
drastisch. In der Nachkriegszeit steigt er vergleichsweise langsam an. 1967
liegt der Anteil der Studentinnen in Deutschland bei 24 Prozent, während
Frankreich im selben Jahr schon 42 Prozent vorweisen kann. Auch alle
anderen Länder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft schneiden in der
Frage der Gleichstellung von Studentinnen besser ab als Deutschland.
Heute ist der Zugang zum Studium keine Frage des Geschlechts mehr.
Allerdings schlagen viel weniger Frauen als Männer nach dem Studium eine
wissenschaftliche Karriere ein. Auch Führungspositionen in der Wissenschaft
werden weitaus häufiger von Männern besetzt, sodass in diesem Bereich von
einer Gleichstellung noch nicht die Rede sein kann.
verfasst von Mkl
Deutsche Frauen dürfen studieren
Baden/Deutschland, 28.02.1900.
Frauen im Großherzogtum Baden erhalten am 28. Februar 1900 das volle
Immatrikulationsrecht. Bisher waren Frauen in deutschen Universitäten
ausschließlich als Gasthörerinnen zugelassen. Nach Baden öffnen in den
darauffolgenden Jahren auch die anderen deutschen Länder die Hochschulen
für weibliche Studenten.
Heute stellen Frauen knapp die Hälfte aller Studierenden in Deutschland.
Bei den Abiturienten sind sie sogar in der Mehrzahl. Vor etwas mehr als 100
Jahren war von höherer Frauenbildung noch kaum zu sprechen, das Studium an
deutschen Hochschulen eine reine Männerdomäne.
Frauen nur Gäste
Am Ende des 19. Jahrhunderts sind Frauen in deutschen Hörsälen seltene
Gäste. Und wenn sie dort sind, dann sind sie genau das: Gasthörerinnen. So
studieren 1896 in Preußen 223 Frauen ohne immatrikuliert zu sein. Die
meisten von ihnen wollen ihre Allgemeinbildung vertiefen und besuchen
Vorlesungen der Philosophischen Fakultät.
Nachdem sich erste Gymnasiastinnen zum Abitur angemeldet haben,
signalisiert das badische Kultusministerium seine Bereitschaft, Frauen
regulär zum Hochschulstudium zuzulassen. Bereits 1897 fordert
Kultusminister Wilhelm Nokk die Gleichberechtigung für deutsche
Abiturientinnen.
Doch die Hochschulen sperren sich dagegen. An der Freiburger Universität
fürchten die Professoren, immatrikulierte Studentinnen könnten dem
wissenschaftlichen Ansehen der Universität schaden.
Eine Männderdomäne bröckelt
Während des Wintersemesters 1899/1900 studieren fünf Frauen an der
Freiburger Universität als Gasthörerinnen Medizin. Eine von ihnen ist
Johanna Kappes. Sie gehört zu den ersten Abiturientinnen Deutschlands.
Als die Studentinnen vom Verein Frauenbildung-Frauenstudium ermuntert
werden, für ihre Einschreibung zu kämpfen, geht Kappes als einzige das
Wagnis ein. Die anderen befürchten, ihren Status als Gasthörerinnen an der
Freiburger Universität zu verlieren.
Kappes verfasst Anfang November 1899 eine Petition, die sie beim Freiburger
Senat einreicht. Nachdem dieser ablehnt, soll das zuständige Ministerium in
Karlsruhe entscheiden. Dieses entschließt endlich, das Frauenstudium
einzuführen.
Allerdings nur, wenn „seitens der Hochschulen nicht schwerwiegende Bedenken
gegen eine solche Zulassung von Frauen zum akademischen Bürgerrecht geltend
gemacht und begründet werden sollten“. Heidelberg stimmt zu.
Probeweise Immatrikulation
Die Freiburger Universität hingegen rät dringend von einem badischen
Alleingang ab. Die Aussicht auf eine staatenübergreifende Übereinkunft in
dieser Frage erscheint der badischen Regierung zum damaligen Zeitpunkt so
gering, dass sie auf die Freiburger Einwände nicht eingeht.
Am 28. Februar 1900 ist es soweit. Das Ministerium der Justiz, des Kultus
und des Unterrichts verkündet: „Frauen, welche ein anerkanntes Reifezeugnis
vorzulegen vermögen, sind versuchs- und probeweise zur Immatrikulation an
den beiden Landesuniversitäten (Heidelberg und Freiburg) zugelassen.“
Auch wenn Studentinnen an den badischen Universitäten vorerst nur
„versuchs- und probeweise“ immatrikuliert werden, wird die Öffnung der
Universitäten für Frauen in Zukunft nicht mehr zurückgenommen. Johanna
Kappes und die vier weiteren Freiburger Medizinstudentinnen werden in Folge
des Beschlusses rückwirkend für das Wintersemester eingeschrieben. Sie sind
die ersten regulären Studentinnen im Deutschen Kaiserreich. Alle fünf
werden später als Ärztinnen arbeiten.
Andere Staaten ziehen nach
Baden hat mit der Einführung des Frauenstudiums den Anfang gemacht. Es soll
nicht lange dauern, bis andere Staaten dem Beispiel folgen. 1903
entschließt sich Bayern, Abiturientinnen zur Immatrikulation zuzulassen.
Ein Jahr später folgt Württemberg.
Diese Entwicklung erhöht den Druck auf Preußen und Sachsen, zumal es deren
Landesregierungen nicht gefällt, dass Frauen aus ihren Ländern sich fortan
an Universitäten im Süden und Südwesten Deutschlands einschreiben. 1906
öffnet Sachsen seine Hochschulpforten für Frauen.
Das Frauenstudium bis heute
Der letzte große deutsche Staat, der das Frauenstudium einführt ist
Preußen. Dies führt zu einem sprunghaften Anstieg der Studentinnenzahlen.
Im Wintersemester 1908/09 immatrikulieren sich 1.132 Frauen an deutschen
Hochschulen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, sind es schon 4.054, was
einem Anteil von 6,7 Prozent an den Studenten insgesamt entspricht.
Während des Ersten Weltkriegs steigt die Anzahl der studierenden Frauen
weiter. Die meisten männlichen Studenten sind zwar offiziell
eingeschrieben, wegen ihres Kriegsdienstes jedoch nicht in den Hörsälen. Im
Winter 1917/18 fehlen etwa 80 Prozent von ihnen.
Die deutsche Studentin Margarethe Sallis-Freudenthal beschreibt ihre
Eindrücke von der Frankfurter Universität zu dieser Zeit: „(Es) war
beklemmend, es gab nur ein paar ganz junge oder ganz alte männliche Hörer,
der Rest waren Frauen. Und da die Frankfurter Universität eine ganz neue
Hochschule war, war es dort noch ein bisschen leerer als anderswo.“
Mütter brauchen kein Studium
In den 30er und 40er Jahren versuchen die Nationalsozialisten, die Frauen
von den Universitäten fernzuhalten. Die der Frau zugedachte Mutterrolle
erfordert kein Studium. So wird 1934 der Anteil von Abiturientinnen, die
ein Hochschulstudium beginnen dürfen, auf zehn Prozent begrenzt.
Akademikermangel führt schon ein Jahr später dazu, dass die Regelung
aufgehoben wird. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ersetzen Frauen
zunehmend Positionen von Männern. Das wirkt sich auch auf das
Geschlechterverhältnis an deutschen Universitäten aus. 1944 sind etwa die
Hälfte aller Studierenden Frauen.
Karriere ist noch immer Männersache
Nach dem Zweiten Weltkrieg sinkt der Anteil der Frauen an den Hochschulen
drastisch. In der Nachkriegszeit steigt er vergleichsweise langsam an. 1967
liegt der Anteil der Studentinnen in Deutschland bei 24 Prozent, während
Frankreich im selben Jahr schon 42 Prozent vorweisen kann. Auch alle
anderen Länder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft schneiden in der
Frage der Gleichstellung von Studentinnen besser ab als Deutschland.
Heute ist der Zugang zum Studium keine Frage des Geschlechts mehr.
Allerdings schlagen viel weniger Frauen als Männer nach dem Studium eine
wissenschaftliche Karriere ein. Auch Führungspositionen in der Wissenschaft
werden weitaus häufiger von Männern besetzt, sodass in diesem Bereich von
einer Gleichstellung noch nicht die Rede sein kann.
verfasst von Mkl