Wir müssen über den Krieg reden.
von Dr. Cora Stephan
Dass Deutschland „zwei Weltkriege angezettelt“ habe, ist in Deutschlands Schulen und Redaktionsstuben weitgehend Konsens. Auch die letzten beiden deutschen Außenminister reklamieren die Schuld am Ersten Weltkrieg, als ob es angesichts des Zweiten Weltkriegs darauf nun auch nicht mehr ankomme.
Ob man sich von der packenden Studie des in Cambridge lehrenden australischen Historikers Christopher Clark belehren lässt? Er weist in einer minutiösen Analyse der Wochen und Tage vor dem Beginn des Großen Kriegs nach, dass von einer deutschen „Schuld“ an der Katastrophe nicht die Rede sein kann und dass sich die „Verantwortung“ dafür die Staatsmänner aller beteiligten Nationen teilen müssen.
Für die Deutschen bedeutet das keine Erlösung und für die anderen ist es schmerzhaft. Der erste Weltkrieg ist und bleibt die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, aus ihm folgten noch größere Schrecken. Die je unterschiedlichen nationalen Erinnerungen an den „Großen Krieg“ bestimmen noch immer die europäische Gegenwart – und damit auch das Bild, das man in Europa von den Deutschen hat. Schon deshalb müssen wir über den Krieg reden – den ersten, nicht nur den zweiten.
In Großbritannien bereitet man sich auf die Gedenkfeiern zum hundertsten Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs vor. Eine schwierige Gratwanderung kündigt sich an. Zwar ist das „Hun-Bashing“ derzeit aus der Mode und die britische Regierung möchte Schuldzuweisungen vermeiden. Man bestehe, heißt es, auf lediglich zwei Punkten: dass der Krieg ein gerechter Krieg war, ein „just war“. Und dass man gesiegt habe.
Von deutscher Seite wird man wenig Widerspruch ernten. Mit nationalem Masochismus – oder Sadismus? – erklärte jüngst der einstige Außenminister Joschka Fischer den Vertrag von Versailles sogar für „zu sanft“ und „nicht konsequent genug“. Interessant sind die kritischen Stimmen in Großbritannien selbst. Gewiss, ein Mann wie der Autor Max Hastings verkauft sein neues Buch aggressiv mit dem Argument, man habe 1914 wie 1939 in den Deutschen das Böse bekämpft, und der ungleich eminentere Militärhistoriker und Regierungsberater Hew Strachan meint, es gebe bei den Zentenarfeierlichkeiten keinerlei Grund, Rücksicht auf das heutige Deutschland zu nehmen, bloß, weil es nicht zu seinen Niederlagen stehen wolle. Doch die Mehrheit der britischen Publizisten und Historiker, die sich zu Wort melden, fordert vom eigenen Land Selbstkritik. Der Deutschlandkenner Richard J. Evans, Historiker in Cambridge, sieht keinen Grund für die Annahme, dem Kaiser sei es darum gegangen, sich zum Diktator Deutschlands und Europas aufzuschwingen – also keinen Grund für einen „just war“. Auch habe niemand gesiegt. Die Hauptkonflikte blieben ungelöst, bis sie 1939 wieder virulent wurden. Der Mythos vom britischen Sieg verleihe keine verlässliche nationale Identität.
Noch deutlicher wird der konservative Publizist Simon Heffer: Nur aufgrund der Einmischung Großbritanniens sei aus einem begrenzten Konflikt ein Weltkrieg geworden. Die britische Intervention habe nicht nur Millionen Tote gekostet, sondern die alte europäische Ordnung zerstört, revolutionäre Bewegungen genährt und den Wohlstand der vorhergehenden Jahrzehnte vernichtet. Man hätte neutral bleiben, über die starken Handelsbeziehungen die Partnerschaft mit Deutschland pflegen und so die meisten Katastrophen des 20. Jahrhunderts verhindern können.
Das Buch von Christopher Clark, in dem die These von der Hauptverantwortlichkeit des Deutschen Reichs klaftertief begraben wird, gibt der Debatte neue Nahrung. Wer die 700 Seiten dieses Krimis durchgestanden hat, hat zwar keinen Schurken mit rauchendem Colt serviert bekommen, sondern eine Tragödie, in der alle Akteure mit offenen Augen und dennoch blind durch die Kulissen stolpern. Kein Zweifel aber besteht an der provozierenden Rolle Frankreichs – und daran, dass Großbritannien kein eigenes Eisen im Feuer hatte, also kein legitimes Interesse, das ihm das „ius ad bellum“ verliehen hätte. Großbritannien hat nicht nur nicht gesiegt. Es hat auch keinen „just war“ geführt – einen gerechten, d.h. gerechtfertigten Krieg.
Doch war die britische Regierung nicht wegen der Verletzung der Souveränität Belgiens durch die Deutschen moralisch und rechtlich zur Intervention verpflichtet gewesen? Das war, wie Clark minutiös nachzeichnet, eine nachgeschobene Begründung, und die These, man habe „die Freiheit“ gegen deutsche Hegemoniebestrebungen verteidigen müssen, ein Propagandamärchen. Tatsächlich war ein Durchmarsch durch Belgien auch in den Kriegsplänen Frankreichs und Englands vorgesehen, die Solidarität mit „Little Belgium“ zielte auf die Bevölkerung, die man moralisch mobilisieren musste. Mit Propaganda über kindermordende deutsche Hunnen, die ans Gemüt appellierte.
Clarks Buch ist politisch brisant. Ja, erst Großbritanniens Kriegseintritt hat den Krieg zum Weltkrieg werden lassen, wofür seine Regierung, wie Clark zeigt, keinen legitimen Grund hatte. Das ist das Päckchen, das England zu tragen hat – völlig unabhängig von der politischen Blindheit, den voreiligen Versprechen, der Selbstüberschätzung und Fehldiagnosen aller anderen.
Was die deutsche „Schuld“ betrifft, so teilen sich die Sieger selten die Verantwortung mit den Besiegten. Irgend jemand musste die enormen Kosten der Materialschlachten tragen. Vor allem aber brauchten die ausgebluteten und zerstörten Nationen wenigstens den Hauch einer Rechtfertigung für den millionenfachen Tod junger Männer. Dass ihr Opfer keinem vernünftigen Ziel diente, ja dass es ihnen geradezu absichtslos abverlangt wurde, war und ist schwer auszuhalten. Einer muss der Schurke sein, damit man weiterhin ans Gute glauben kann.
Manch einer in Großbritannien hält an alter Größe fest, auch wenn das Empire beim dauernden Siegen unterging. Und manchmal scheint es, als sei aus Deutschland geworden, was Winston Churchill einst boshaft versprochen hat: es ist „fat and impotent“, feist und unbeweglich, wie ein gut gemästeter Kapaun, es kann und will seine ökonomische Macht nicht in eine politische ummünzen. Doch selbst diese Zurückhaltung hilft dem Land nicht, das „zu groß für Europa und zu klein für die Welt“ ist (Kissinger). In der Eurokrise scheuen sich manche unserer Nachbarn nicht zu behaupten, mit der deutschen Austeritätspolitik drohe Deutschland „zum dritten Mal in einem Jahrhundert den Kontinent zu ruinieren“ (Gustav Seibt).
Nein, wir haben es alle gemeinsam getan. Und das ist, wenn man so will, die gute Botschaft für Europa: wir bewältigen die Krise auch nur – gemeinsam.
Wir müssen über den Krieg reden (anklicken!)
von Dr. Cora Stephan
Dass Deutschland „zwei Weltkriege angezettelt“ habe, ist in Deutschlands Schulen und Redaktionsstuben weitgehend Konsens. Auch die letzten beiden deutschen Außenminister reklamieren die Schuld am Ersten Weltkrieg, als ob es angesichts des Zweiten Weltkriegs darauf nun auch nicht mehr ankomme.
Ob man sich von der packenden Studie des in Cambridge lehrenden australischen Historikers Christopher Clark belehren lässt? Er weist in einer minutiösen Analyse der Wochen und Tage vor dem Beginn des Großen Kriegs nach, dass von einer deutschen „Schuld“ an der Katastrophe nicht die Rede sein kann und dass sich die „Verantwortung“ dafür die Staatsmänner aller beteiligten Nationen teilen müssen.
Für die Deutschen bedeutet das keine Erlösung und für die anderen ist es schmerzhaft. Der erste Weltkrieg ist und bleibt die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, aus ihm folgten noch größere Schrecken. Die je unterschiedlichen nationalen Erinnerungen an den „Großen Krieg“ bestimmen noch immer die europäische Gegenwart – und damit auch das Bild, das man in Europa von den Deutschen hat. Schon deshalb müssen wir über den Krieg reden – den ersten, nicht nur den zweiten.
In Großbritannien bereitet man sich auf die Gedenkfeiern zum hundertsten Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs vor. Eine schwierige Gratwanderung kündigt sich an. Zwar ist das „Hun-Bashing“ derzeit aus der Mode und die britische Regierung möchte Schuldzuweisungen vermeiden. Man bestehe, heißt es, auf lediglich zwei Punkten: dass der Krieg ein gerechter Krieg war, ein „just war“. Und dass man gesiegt habe.
Von deutscher Seite wird man wenig Widerspruch ernten. Mit nationalem Masochismus – oder Sadismus? – erklärte jüngst der einstige Außenminister Joschka Fischer den Vertrag von Versailles sogar für „zu sanft“ und „nicht konsequent genug“. Interessant sind die kritischen Stimmen in Großbritannien selbst. Gewiss, ein Mann wie der Autor Max Hastings verkauft sein neues Buch aggressiv mit dem Argument, man habe 1914 wie 1939 in den Deutschen das Böse bekämpft, und der ungleich eminentere Militärhistoriker und Regierungsberater Hew Strachan meint, es gebe bei den Zentenarfeierlichkeiten keinerlei Grund, Rücksicht auf das heutige Deutschland zu nehmen, bloß, weil es nicht zu seinen Niederlagen stehen wolle. Doch die Mehrheit der britischen Publizisten und Historiker, die sich zu Wort melden, fordert vom eigenen Land Selbstkritik. Der Deutschlandkenner Richard J. Evans, Historiker in Cambridge, sieht keinen Grund für die Annahme, dem Kaiser sei es darum gegangen, sich zum Diktator Deutschlands und Europas aufzuschwingen – also keinen Grund für einen „just war“. Auch habe niemand gesiegt. Die Hauptkonflikte blieben ungelöst, bis sie 1939 wieder virulent wurden. Der Mythos vom britischen Sieg verleihe keine verlässliche nationale Identität.
Noch deutlicher wird der konservative Publizist Simon Heffer: Nur aufgrund der Einmischung Großbritanniens sei aus einem begrenzten Konflikt ein Weltkrieg geworden. Die britische Intervention habe nicht nur Millionen Tote gekostet, sondern die alte europäische Ordnung zerstört, revolutionäre Bewegungen genährt und den Wohlstand der vorhergehenden Jahrzehnte vernichtet. Man hätte neutral bleiben, über die starken Handelsbeziehungen die Partnerschaft mit Deutschland pflegen und so die meisten Katastrophen des 20. Jahrhunderts verhindern können.
Das Buch von Christopher Clark, in dem die These von der Hauptverantwortlichkeit des Deutschen Reichs klaftertief begraben wird, gibt der Debatte neue Nahrung. Wer die 700 Seiten dieses Krimis durchgestanden hat, hat zwar keinen Schurken mit rauchendem Colt serviert bekommen, sondern eine Tragödie, in der alle Akteure mit offenen Augen und dennoch blind durch die Kulissen stolpern. Kein Zweifel aber besteht an der provozierenden Rolle Frankreichs – und daran, dass Großbritannien kein eigenes Eisen im Feuer hatte, also kein legitimes Interesse, das ihm das „ius ad bellum“ verliehen hätte. Großbritannien hat nicht nur nicht gesiegt. Es hat auch keinen „just war“ geführt – einen gerechten, d.h. gerechtfertigten Krieg.
Doch war die britische Regierung nicht wegen der Verletzung der Souveränität Belgiens durch die Deutschen moralisch und rechtlich zur Intervention verpflichtet gewesen? Das war, wie Clark minutiös nachzeichnet, eine nachgeschobene Begründung, und die These, man habe „die Freiheit“ gegen deutsche Hegemoniebestrebungen verteidigen müssen, ein Propagandamärchen. Tatsächlich war ein Durchmarsch durch Belgien auch in den Kriegsplänen Frankreichs und Englands vorgesehen, die Solidarität mit „Little Belgium“ zielte auf die Bevölkerung, die man moralisch mobilisieren musste. Mit Propaganda über kindermordende deutsche Hunnen, die ans Gemüt appellierte.
Clarks Buch ist politisch brisant. Ja, erst Großbritanniens Kriegseintritt hat den Krieg zum Weltkrieg werden lassen, wofür seine Regierung, wie Clark zeigt, keinen legitimen Grund hatte. Das ist das Päckchen, das England zu tragen hat – völlig unabhängig von der politischen Blindheit, den voreiligen Versprechen, der Selbstüberschätzung und Fehldiagnosen aller anderen.
Was die deutsche „Schuld“ betrifft, so teilen sich die Sieger selten die Verantwortung mit den Besiegten. Irgend jemand musste die enormen Kosten der Materialschlachten tragen. Vor allem aber brauchten die ausgebluteten und zerstörten Nationen wenigstens den Hauch einer Rechtfertigung für den millionenfachen Tod junger Männer. Dass ihr Opfer keinem vernünftigen Ziel diente, ja dass es ihnen geradezu absichtslos abverlangt wurde, war und ist schwer auszuhalten. Einer muss der Schurke sein, damit man weiterhin ans Gute glauben kann.
Manch einer in Großbritannien hält an alter Größe fest, auch wenn das Empire beim dauernden Siegen unterging. Und manchmal scheint es, als sei aus Deutschland geworden, was Winston Churchill einst boshaft versprochen hat: es ist „fat and impotent“, feist und unbeweglich, wie ein gut gemästeter Kapaun, es kann und will seine ökonomische Macht nicht in eine politische ummünzen. Doch selbst diese Zurückhaltung hilft dem Land nicht, das „zu groß für Europa und zu klein für die Welt“ ist (Kissinger). In der Eurokrise scheuen sich manche unserer Nachbarn nicht zu behaupten, mit der deutschen Austeritätspolitik drohe Deutschland „zum dritten Mal in einem Jahrhundert den Kontinent zu ruinieren“ (Gustav Seibt).
Nein, wir haben es alle gemeinsam getan. Und das ist, wenn man so will, die gute Botschaft für Europa: wir bewältigen die Krise auch nur – gemeinsam.
Wir müssen über den Krieg reden (anklicken!)