Betreff: Bericht einer deutschen Zeitung vor 115 Jahren über Griechenland
Mit Erschrecken und mit Wehmut
Vor 115 Jahren schrieb der »Schlei-Bote« über Griechenland, was deutsche Medien heute nicht zu sagen wagen
23.11.12
[Sie müssen registriert oder eingeloggt sein, um diesen Link sehen zu können]
Vor 115 Jahren verband Deutschland mit Griechenland noch keine Währungsgemeinschaft, doch war Prinz Wilhelm von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg als Georg I. griechischer König und dessen ältester Sohn seit 1889 mit der preußischen Prinzessin Sophie verheiratet. Nicht zuletzt diese Verbindung war es, die damals in Schleswig-Holstein, Preußen und dem Deutschen Reich das Interesse an den politischen und wirtschaftlichen Vorgängen in Griechenland weckte. So berichtete der „Schlei-Bote“, der in Kappeln, einem kleinen Ort in der Nähe von Schleswig, erschien, in der Nummer vom 17. Mai 1897:
„Der griechische Staat ist arm, das ist nicht seine Schuld, aber schlimmer als seine Armut ist die schlechte Finanzwirtschaft, die im Land herrscht. Wie die Ministerien auch zusammengesetzt sein mochten, im Geldpunkt haperte es stets. Millionen und aber Millionen, die zur Verwirklichung von großen, dem ganzen Land nützenden Unternehmungen verwendet werden sollten, sind in ganz andere Taschen geflossen als in die von Ingenieuren und Arbeitern, welche die Arbeiten ausführen sollten; so sind beispielsweise bei dem Bau des berüchtigten Kanals von Korinth 80 Millionen spurlos verschwunden … Nach der Abtretung von Thessalien an Griechenland durch die Türkei zum Beginn des vorigen Jahrzehnts bis zur Vermählung des Kronprinzen Konstantin mit der Prinzessin Sophie von Preußen haben die griechischen Finanzminister es verstanden, eine 100-Millionen-Anleihe nach der anderen einzuheimsen; große Bankfirmen im Deutschen Reich, in Frankreich und in England übernahmen bereitwilligst die Vermittlung, und alle diese schönen Beträge, die heute schon zu zwei Dritteln entwertet sind, gehen nun vielleicht ganz und gar verloren, wenn kein ernster Machtanspruch erfolgt.
Das Geld ist in Griechenland direkt verwirtschaftet, denn irgendwelche nennenswerte Verwendung im Landesinteresse ist nicht erfolgt. Auch für militärische Zwecke ist nicht viel übriggeblieben. Man hat die geliehenen Summen in der Hauptsache zur Bestreitung der laufenden Staatsausgaben verwendet, die doch von den Steuerzahlern gedeckt werden müssen. Im modernen Hellas besteht aber der allerliebste Brauch, dass die Anhänger des jeweiligen Ministerpräsidenten und seiner Leute es als ein schönes Vorrecht betrachten, so wenig wie möglich oder, besser noch, gar keine Staatssteuern zu bezahlen. Da Griechenland so ziemlich zwei Ministerien pro Jahr hat, kann man sich nun ausrechnen, wie viel eigentlich von den Steuern, die gezahlt werden sollen, wirklich gezahlt werden. Welche zarte Besorgnis die Minister für ihre Wähler hegen, ergibt die Tatsache, dass jedes Ministerium ohne Besinnen für die Kürzung der Zinsen der ausländischen Besitzer griechischer Staatspapiere gestimmt hat; während sie den inländischen Inhabern weiter gezahlt werden.
Griechenland hat damit renommiert, es würde allen seinen Gläubigern gerecht werden, wenn es Kreta behalten dürfte. Das ist eine Redensart; in einem Griechenland, in welchem der Bazillus des Größenwahns wütet, wird erst recht gestohlen auf
Um der liederlichen Wirtschaft ein Ende zu machen, kann nur eine strenge Finanzkontrolle helfen, denn wenn auch der griechische Staat bettelarm ist, die Griechen sind es weit weniger. Aber auf solche Reformen wird man in Athen schwer, sehr schwer eingehen, denn nur ein starker Druck könnte da helfen. Und wenn auch Deutschland wollte – ob die zunächst meistbeteiligten Mächte England und Frankreich mitmachen würden, ist recht sehr die Frage. Jedenfalls muss aber ernstlich die Angelegenheit im Auge behalten werden, sonst ist alles Geld, welches Griechenland erhalten hat, total verloren. Schonung solchem Staat gegenüber üben zu wollen, ist freilich Torheit, aber die Langmut mehrerer Großmächte gegenüber Griechenland hat tief, unendlich tief blicken lassen.“
Mit Erschrecken und mit Wehmut liest man diese Zeilen von 1897. Mit Erschrecken, weil sich seitdem kaum etwas am griechischen Finanzgebaren geändert hat. Mit Wehmut, weil sich vor 115 Jahren die veröffentlichte Meinung in Deutschland weitgehend mit der öffentlichen deckte, während sie heute, trotz grundgesetzlich verbriefter Pressefreiheit, das Publikum durch Beschönigen oder Verschweigen nicht ins linke Weltbild passender Tatsachen zu manipulieren versucht.
Peter Kuntze/PAZ
Artikel aus dem Archiv von Gardestern.
Mit Erschrecken und mit Wehmut
Vor 115 Jahren schrieb der »Schlei-Bote« über Griechenland, was deutsche Medien heute nicht zu sagen wagen
23.11.12
[Sie müssen registriert oder eingeloggt sein, um diesen Link sehen zu können]
Vor 115 Jahren verband Deutschland mit Griechenland noch keine Währungsgemeinschaft, doch war Prinz Wilhelm von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg als Georg I. griechischer König und dessen ältester Sohn seit 1889 mit der preußischen Prinzessin Sophie verheiratet. Nicht zuletzt diese Verbindung war es, die damals in Schleswig-Holstein, Preußen und dem Deutschen Reich das Interesse an den politischen und wirtschaftlichen Vorgängen in Griechenland weckte. So berichtete der „Schlei-Bote“, der in Kappeln, einem kleinen Ort in der Nähe von Schleswig, erschien, in der Nummer vom 17. Mai 1897:
„Der griechische Staat ist arm, das ist nicht seine Schuld, aber schlimmer als seine Armut ist die schlechte Finanzwirtschaft, die im Land herrscht. Wie die Ministerien auch zusammengesetzt sein mochten, im Geldpunkt haperte es stets. Millionen und aber Millionen, die zur Verwirklichung von großen, dem ganzen Land nützenden Unternehmungen verwendet werden sollten, sind in ganz andere Taschen geflossen als in die von Ingenieuren und Arbeitern, welche die Arbeiten ausführen sollten; so sind beispielsweise bei dem Bau des berüchtigten Kanals von Korinth 80 Millionen spurlos verschwunden … Nach der Abtretung von Thessalien an Griechenland durch die Türkei zum Beginn des vorigen Jahrzehnts bis zur Vermählung des Kronprinzen Konstantin mit der Prinzessin Sophie von Preußen haben die griechischen Finanzminister es verstanden, eine 100-Millionen-Anleihe nach der anderen einzuheimsen; große Bankfirmen im Deutschen Reich, in Frankreich und in England übernahmen bereitwilligst die Vermittlung, und alle diese schönen Beträge, die heute schon zu zwei Dritteln entwertet sind, gehen nun vielleicht ganz und gar verloren, wenn kein ernster Machtanspruch erfolgt.
Das Geld ist in Griechenland direkt verwirtschaftet, denn irgendwelche nennenswerte Verwendung im Landesinteresse ist nicht erfolgt. Auch für militärische Zwecke ist nicht viel übriggeblieben. Man hat die geliehenen Summen in der Hauptsache zur Bestreitung der laufenden Staatsausgaben verwendet, die doch von den Steuerzahlern gedeckt werden müssen. Im modernen Hellas besteht aber der allerliebste Brauch, dass die Anhänger des jeweiligen Ministerpräsidenten und seiner Leute es als ein schönes Vorrecht betrachten, so wenig wie möglich oder, besser noch, gar keine Staatssteuern zu bezahlen. Da Griechenland so ziemlich zwei Ministerien pro Jahr hat, kann man sich nun ausrechnen, wie viel eigentlich von den Steuern, die gezahlt werden sollen, wirklich gezahlt werden. Welche zarte Besorgnis die Minister für ihre Wähler hegen, ergibt die Tatsache, dass jedes Ministerium ohne Besinnen für die Kürzung der Zinsen der ausländischen Besitzer griechischer Staatspapiere gestimmt hat; während sie den inländischen Inhabern weiter gezahlt werden.
Griechenland hat damit renommiert, es würde allen seinen Gläubigern gerecht werden, wenn es Kreta behalten dürfte. Das ist eine Redensart; in einem Griechenland, in welchem der Bazillus des Größenwahns wütet, wird erst recht gestohlen auf
Um der liederlichen Wirtschaft ein Ende zu machen, kann nur eine strenge Finanzkontrolle helfen, denn wenn auch der griechische Staat bettelarm ist, die Griechen sind es weit weniger. Aber auf solche Reformen wird man in Athen schwer, sehr schwer eingehen, denn nur ein starker Druck könnte da helfen. Und wenn auch Deutschland wollte – ob die zunächst meistbeteiligten Mächte England und Frankreich mitmachen würden, ist recht sehr die Frage. Jedenfalls muss aber ernstlich die Angelegenheit im Auge behalten werden, sonst ist alles Geld, welches Griechenland erhalten hat, total verloren. Schonung solchem Staat gegenüber üben zu wollen, ist freilich Torheit, aber die Langmut mehrerer Großmächte gegenüber Griechenland hat tief, unendlich tief blicken lassen.“
Mit Erschrecken und mit Wehmut liest man diese Zeilen von 1897. Mit Erschrecken, weil sich seitdem kaum etwas am griechischen Finanzgebaren geändert hat. Mit Wehmut, weil sich vor 115 Jahren die veröffentlichte Meinung in Deutschland weitgehend mit der öffentlichen deckte, während sie heute, trotz grundgesetzlich verbriefter Pressefreiheit, das Publikum durch Beschönigen oder Verschweigen nicht ins linke Weltbild passender Tatsachen zu manipulieren versucht.
Peter Kuntze/PAZ
Artikel aus dem Archiv von Gardestern.